Digitale Welten

re:publica #14 oder The remains of the Internet

Drei Tage Berlin. Drei Tage re:publica. Und irgendwie bleibt eine Leere. Fragen, Antworten. Ich weiß noch nicht einmal, was ich gesucht habe. Aus einem Vortrag nahm ich mit, es sei wichtig, die richtigen Fragen zu stellen. Also mache ich mich auf die Suche.

Bloggertreffen?

Klassentreffen? Internetkonferenz? Gesellschaftskonferenz? Wo bin ich? Ist das überhaupt wichtig zu wissen? Um die eigene Erwartungshaltung zu reflektieren allemal. Die re:publica ist kein Bloggertreffen. Diese Euphorie einer Familienzusammenführung war nicht wirklich zu spüren. Hier und da fielen sich zwar mal einige in die Arme, die sich scheinbar erstmals live begegneten, aber dass diese Stimmung nun die gesamte Besucherschar euphorisierte, blieb mir verborgen. Und wenn Johnny Häusler auf Twitter verkündet, dass er schätzt, dass 90 Prozent der Besucher ihn nicht kennen, dann hat hier wirklich kein Bloggertreffen mehr stattgefunden. Ich frage mich ja dann heimlich: Warum fahren die überhaupt zur re:publica, wenn die Johnny Häusler nicht kennen? Ich wage zu behaupten: 90 Prozent der Besucher der allerersten re:publica sind nur gekommen, um Johnny Häusler zu treffen. (Ja, schmeißt noch ein paar andere bekannte Blogger mit in den Häusler-Topf, dann passt das schon.) Kleinbloggersdorf hieß meine Netzgemeinde damals. Genial. Vernetzt. Bereit, die Welt aus den Angeln zu heben. Oder in dem Gefühl vereint, man tut das bereits. Und heute?

Der kleine Meckervogel

Heute klingt der Begriff Netzgemeinde irgendwie fremd. Gemeinde? Gemeinschaft? Ich kann es nicht fühlen. Es war Sascha Lobo der im vergangenen Jahr meinte, mit dem Begriff Netzgemeinde hätte er sich angefreundet, wie mit einem dreibeinigen, blinden Hund. Man gewöhnt sich irgendwie dran. Nun ist ja Sascha Lobo auch nicht so wirklich der Gemeinschafts-, sondern eher der Klassensprechertyp. Immer mittendrin, aber nie wirklich dabei. Immer ein bisschen abgenervt von der Menge, die er vertritt, aber letztendlich so überzeugt von sich, seinen Ideen und der Sache an sich, dass er gar nicht anders kann, als sich zu engagieren. Man gewöhnt sich irgendwie dran. Die Welt braucht diese Alpha-Tierchen, aber sie bleiben ewige Einzelkämpfer. Wer zu heiligen Bekassine soll aber nun diese Netzgemeinde sein? Wer diese selbsternannte Hobbylobby, die jetzt erwachsen werden soll? Gehöre ich dazu?

Wunder sind die Regel

Erst einmal schlendere ich durch die Hallen. Ein paar Sessions sind im Kalender fixiert, die will ich nicht verpassen, ansonsten falle ich mehr so von Raum zu Raum und lasse mich treiben. Oft langweilen mich die Speaker. Oder ich habe nach zehn Minuten genug gehört. Dann wandere ich weiter zur nächsten Bühne. Viele Themen rauschen durch meinen Kopf. Einzelne Sätze bleiben hängen: Wir brauchen Leute, die was zu gewinnen haben. Selbst die Profis kommen mit dem Neuen nicht klar. Wunder sind die Regel. Wir sind empört! Man verkauft keine Nachrichten, sondern Gewohnheiten. Ich will nicht gezwungen sein, meine Daten zu verschlüsseln. Wir müssen Grautöne zeigen. Jetzt aber los!

Der Zeit voraus

Oft ist es sehr technisch. Oder sehr englisch. Oder sehr speziell. Oder. Oder. Oder. Liegt es an mir, dass niemand mich so wirklich mitreißt? Dass niemand ein Feuer zündet? Die richtigen Fragen stellt? Höre ich sie nicht? Es erreicht mich nicht. Besser: Es betrifft mich nicht. Vielleicht ist dieses Nicht-Betroffen-Gefühl der Schlüssel. Der Schlüssel zur fehlenden Netzgemeinde. Vielleicht ist das genau das Gefühl, was uns verbindet: Wir sind nicht betroffen. Nicht die Netzgemeinde ist der dreibeinige, blinde Hund, Big Data ist es. Man gewöhnt sich irgendwie dran. Es macht nicht betroffen. Ich sehe es nicht. Ich fühle es nicht. Es tut nicht weh. Da kann Sascha Lobo noch so laut bellen, die Betroffenheit stellt er nicht her. Er kriegt sie nicht bewegt, die Nicht-Betroffenen. Deswegen erntet er auch gerne diese Was-will-der-eigentlich-Blicke. Das Genie eilt seiner Zeit voraus. (Bitte, gerne.)

Journalismus und Geld

Ich wende mich den Themen zu, von denen ich, wie ich mir einrede, etwas mehr verstehe: dem Journalismus und dem Geld verdienen. Zwei Themen die scheinbar im Internet nicht zusammen gehen. Tun sie übrigens sonst auch nicht. Oder hat jemand schon mal nen reichen Journalisten gesehen? Ganz ehrlich: Diese Diskussion um den Journalismus im Netz nervt. Nervt seit Jahren. Weil die Blickrichtung immer die falsche ist: Geld, Internet, Geld, Google, Geld, Werbung, Geld, Selbstdarstellung, viel Geld. Ja nach Verstandeshöhe wird das eine oder das andere in den Vordergrund gestellt. Aber um die Sache geht es meistens nicht: Journalismus. Stattdessen wird gestöhnt. Wenn die mal alle so gut schrieben und recherchierten, wie sie stöhnen. Okay, ich spür’s, das Eis unter mir wird dünn.

Ich hechte ja schon ans Ufer und lobe die, die mit gutem Beispiel vorangehen. Die (auch schon lange diskutierte) Lücke im Lokaljournalismus wird von den neuen Hyperlokalen erfrischend gefüllt. Diese Runde hat Spaß gemacht. Mir mit vielen Dingen aus der Seele gesprochen hat allerdings Constantin Seibt. Schon der Titel seiner Session “Journalismus. Nur besser.” gefiel. “Wir brauchen Leute, die etwas zu gewinnen haben.” Und wir brauchen Stil und Haltung. Und natürlich gibt es die bereits, diese leuchtenden Ikonen des Online-Journalismus. Die sitzen dann in einer Talkrunde nebenan und müssen die Frage beantworten: “Lohnt sich Online-Journalismus überhaupt noch?” Falsche Frage, denk ich mir. Warum schon wieder diese Frage nach der Monetarisierung? Wären diese Pallenbergs und Gutjahrs je mit dieser Fragestellung an ihr Tun heran gegangen, sie wären nie und nimmer dort, wo sie heute sind. Die Frage nach der Monetarisierung hat sich ihnen überhaupt nicht gestellt. Das waren Leute, die etwas zu gewinnen hatten. Und genau deswegen haben sie gewonnen. Die haben einfach die richtigen Fragen gestellt. Vor allem sich selbst. Und dann haben sie gemacht. Und ihre Geschichte erzählt. Machen! Auch so ein Aufruf von Sascha Lobo aus dem vergangenen Jahr. Was habe ich gemacht?

Agententhriller

Viel Kaffee getrunken. Irgendwo las ich, der Kaffee aus der Jazzbar wäre der beste gewesen. Respekt. Der war fast dickflüssig. Davon reichte einer für drei Tage. Ohne das rettende Croissant dabei, wäre ich die erste re:publica-Tote gewesen. Wobei sich ja die nie ausgelebte Krimiautorin in mir schon so ihre Leichen zurecht gelegt hat. Oft saß ich im Hof und sponn meine Geschichten. Ich überlegte, wer von den Vorbeigehenden wohl ein NSA-Agent oder ein BND-Agent sei. Der Brillenträger hinter der Zeitung? Zu klischeehaft. Vielleicht der Kickboard-Fahrer? Wobei der eher etwas Russisches an sich hatte. Klar, waren die Russen auch da. Die haben doch Berlin nie verlassen. Sarah Harrison hingegen hat das Gelände offiziell bereits verlassen, doch die Lady dort drüben hat trotz der seltsamen Haarpracht verblüffende Ähnlichkeit mit ihr. Und schaut sie nicht genau in Richtung des unscheinbaren Mannes dort drüber am Würstchengrill? Hätte ich ihn nicht vor wenigen Wochen erst getroffen, ich hätte Daniel Domscheidt-Berg nicht wiedererkannt. Und so sah ich einzelne Figuren bei der Aufführung meines ganz persönlichen Agententhrillers und trank diesen fürchterlichen Kaffee aus der Jazzbar. Fürchterlicher Kaffee? Ich dämlicher Schnepfenvogel, nun werd ich in meinem eigenen Krimi zur Leiche, dachte ich und spürte nur noch, wie ich in zwei starke Arme zusammen sackte und mein Körper über den Beton geschliffen wurde. Dann war Dunkelheit.

Licht im Dunkeln

Als es wieder hell wurde sprach Viktor. Sein Nachname wollte sich mir lange Zeit nicht einprägen. Als ich anschließend anderen von diesem erhellenden Vortrag berichtete, sprach ich immer nur von Viktor. Dabei ist Mayer-Schönberger ein erinnerswerter Name. Erinnerung und Vergessen seine Themen. Alles Wissen, alle Taten von uns werden mit Big Data ewig präsent sein. Entscheidungen, die auf dieser Basis getroffen werden, werden andere sein. Die Wirklichkeit wird sich verändern. Wird es die Gesellschaft in die Lage versetzen, weniger Fehlentscheidungen zu treffen? Aber was ist mit Fehlentscheidungen, die jemand einmal getroffen hat? Sie sind immer und jederzeit abrufbar. Es gibt kein Vergessen. Es gibt kein Vergessen in der Zeit. Wir müssen lernen mit all dem Wissen anders umzugehen. In meinen Hirnwindungen formiert sich ein Bild von einer Netzgemeinde, ach was, von einer Gemeinde überhaupt, die dieses Wissen zu händeln gelernt hat. Eine Gemeinde, die weiß, die lernt, die vergisst und vergibt. Ich bin in Utopia. Ich hab die Netzgemeinde gefunden.

“Ah, ja.”

Man wird ja mitunter so schnell in die Wirklichkeit zurück geholt, dass es weh tut. Ich stehe gerne in dem kleinen Innenhof, allein schon wegen der Überschaubarkeit. Johnny und Tanja kommen mir eilig entgegen. Ich lächle, strecke Johnny meine Hand entgegen. Tanja ist schon drei Meter weiter. Ich spüre, ich halte die beiden auf. An Johnnys Blick erkenne ich, dass er mich nicht erkennt. Schnell schleudere ich ihm meinen Blogger- und Twitternamen entgegen und ernte ein nicht weniger schnelles “Ah, ja.” Die restlichen Worte nimmt der Wind mit und ich komme mir leicht bescheuert vor. Früher wäre das nicht passiert, saust es mir durch den Kopf und ich komme ob dieses Gedankens noch bescheuerter vor. Kleinbloggersdorf ist nicht mehr. Wir sind jetzt Bewohner einer Mega City. Und in großen Städten herrscht Verlorenheit. Die Helden heißen Einzelkämpfer. Ich will in dieser Mega City gar nicht wohnen. Ich bin ein Kind vom Lande. Gebt mir meine Idylle zurück. Und genau in dem Moment höre ich sie brüllen, diese imaginäre Internetmeute: “Heul doch! Heul doch! Dann geh doch! Musst ja nicht hier sein! Musst ja nicht lesen! Musst ja nicht kommentieren! Musst ja nicht! Musst ja nicht!”

Ja, ich heule

Doch muss ich das! Ich war schließlich zuerst hier. Ich hab schon zu Zeiten gebloggt, als es noch der Blog und nicht das Blog hieß. Ich weiß woher der Begriff “surfen” kommt. Ich hab’s erlebt. Planlos. Ziellos. Stundenlang. Nicht wissen, wann die nächste Welle kommt. Nicht wissen, wann das blöde Modem endlich das langersehnte Piiiiiiep von sich gibt. Ein Internet ohne Google. Ohne Facebook. Ohne Twitter. Ohne. Ohne. Ohne. Das war Internet pur. Wir haben doch die Bahnen hier erst gespurt. Wir haben doch Blogkultur gelebt. Im Netz und außerhalb. Unsere Blogrolls waren die einzigen Wegweiser, die wir hatten. Die waren uns heilig, die haben uns geführt, geleitet, zueinander gebracht. Wir haben doch diese Bloggertreffen erfunden, ob in Ginsheim oder in Berlin. Okay, wir haben sie auch wieder abgeschafft, wir sind alle zu Twitter und Facebook gewandert, wir haben unsere Blogs sträflich vernachlässigt oder ganz aufgehört zu bloggen. Twitter war großartig. Facebook hat unsere Blogs kaputt gemacht. Social Media ist gar nicht sozial, weil es die Probleme der Welt ins Netz geholt hat. Vor allen Dingen eines: Die Geilheit nach Geld. Es ist alles ein großes Elend. Ja, ich heule.

The remains of the Internet

Und nun? Wo bin ich? Wer bin ich? Re:publica? Berlin? Lobo? Häusler? Snowden? Überwachung? Jutebeutel? FritzCola? Gewinner? Verlierer? Kopfhörer? Bio-Bratwurst? Flausch? Oder Mord? Was soll ich tun? Immer wenn ich mich frage: “Was soll ich tun?”, steht ein Zitat vor meinen inneren Augen: “Die Tat, die Tat, sie ward noch niemals getan, von dem, der zuvor fragte, was soll ich tun.” Selbst Ratlosigkeit ist nicht gestattet. Ich fühle mich wie eine Billiardkugel, die von einer Bande an die nächste geschossen wird. Ich hörte so viele Antworten. Antworten auf Fragen, die sich mir nie stellten. Irgendwie bleibt eine Leere. Aber irgendwie gewöhnt man sich dran.

Und morgen, morgen spende ich für die Bekassine. Dem kleinen Meckervogel muss man wirklich helfen.

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