Fleischerhandwerk

Ein Herz wie ein Bergwerk

Morgens um fünf steht er auf. Kurze Zeit später bringt er in seinem Betrieb alles in Gang. Er ist der Motor. Ohne ihn läuft nichts. Er führt die Berufsbezeichnung Metzgermeister. Doch ob er das wirklich ist, so im Herzen, weiß er nicht. Wahrscheinlich schon irgendwie. Aber halt nur irgendwie. Er hat einen eigenen Betrieb, in dem er fast alles, was er in seinem Ladengeschäft verkauft, selber herstellt. Das ist sein Anspruch. Etwas verkaufen, war andere produziert haben, bei dem er nicht weiß, wie, das kommt für den Mann mit den hohen Qualitätsansprüchen nicht in Frage. Doch er kann soviel mehr als hervorragende Wurst machen.

Sein Name ist Tom Schlotter

Jahrelang reiste er als Fachberater einer namhaften Gewürzfirma durch Deutschland. Er hat anderen Metzgermeistern und Wurstproduzenten erzählt, wie man gute Wurst macht. Er sorgte für die richtigen Gewürze, für die richtigen Zutaten, für die richtige Mischung. Bei Problemen in der Produktion fand er die Lösung. Er war Experte auf seinem Gebiet. Irgendwann wollte er seine eigene Wurst machen, nicht immer nur anderen erzählen, wie es geht. Also eröffnet er eine Metzgerei in Beimerstetten, nahe Ulm. Schnell kennen ihn die Menschen hier, lernen ihn kennen. Denn Thomas Schlotter macht keine halben Sachen. Er gibt Vollgas. Es ist schwierig, in einem Ort mit ihm zu wohnen und ihn nicht zu kennen. Er ist für seine Kunden da. Als Kundenberater, der er einmal war, fällt ihm das nicht schwer. Er liest den Hausfrauen die Wünsche von den Augen ab, sieht sofort, wenn ein Feinschmecker seinen Laden betritt. Er preist die Preziosen seines Handwerks. Er macht allen alles schmackhaft. Und wer einmal bei ihm war, kommt wieder. Das Geschäft läuft gut.

Tom ist Feuerwehrmann

Wer ihn besser kennt, nennt ihn Tom. Tom ist Feuerwehrmann. Im Leben wie im Ernstfall. Wenn in Beimerstetten die Sirenen heulen, springt er in sein Auto. Es gibt bestimmt ruhigere Einsatzgebiete als die Gegend um Beimerstetten. Wer die Einsatzpläne der Freiwilligen Feuerwehr dort studiert, findet in besonderer Häufigkeit die Einsatzbeschreibung “Bahnunfall“. Unfälle, die keine sind. Schienensuizide häufen sich in der Gegend. Der Feuerwehrmann Tom Schlotter spricht selten darüber, am liebsten gar nicht: “Gott sei Dank passiert das meist in der Dunkelheit, dann sind die Bilder, die sich im Gehirn festbrennen, nicht so deutlich.” Er schweigt. Wenn ein Mann, der sonst gerne und viel redet, plötzlich nichts mehr sagt, dann ist die Botschaft umso eindringlicher. Dann sind es die Bilder in seinem Kopf, die sprechen. Bilder, die er mit niemandem teilt.

Tom ist Musiker

Doch im nächsten Moment fängt er an zu singen: “Weust’ a Herz host wie a Bergwerk…” und lacht. Tom Schlotter ist auch Musiker, ist die eine Hälfte der Band TomFux. “Wellnessmucke pur”, so der Untertitel des im Ulmer Land berühmt berüchtigten Erfolgsduos. Wellnessmucke klingt wie Selbstmedikation, ist Selbstmedikation. Musik machen, hintern Keyboard stehen und singen, ist für den Metzgermeister und Feuerwehrmann Tom Schlotter wie ein Sprudelbad für die Seele, wie ein Sprung in den kalten Bottich nach einem Saunagang. Mitunter steht er zusammen mit Ralf Fuchs, alias Fux, fünf Stunden auf der Bühne und heizt die Massen an. 120 bis 130 Songs an einem Abend sind für die beiden Standard. Solange das Publikum um Zugabe bettelt, wird sie gegeben. Und das Publikum ist ausdauernd. Wenn dann die Stecker am Keyboard gezogen sind, ist es Tom Schlotter, der mit seinen Fans am Tresen steht und weiter singt.

Bin ich depp?

Er singt immer. Auch wenn er in seiner Wursteküche am Kutter steht und seine Wurst macht. Vielleicht macht der Gesang seine Wurst so einzigartig. Auf die Frage, ob er seine Rezepte irgendwo aufgeschrieben habe, antwortet er mit einer Gegenfrage: “Bin ich depp?” Nicht umsonst heißt sein Laden “Echt Schlotters“. Seine Produkte sind echt. Echte Markenträger. Schlotters Wurst gibt es eben nur bei Schlotters. Jahrelang kauft er sein Fleisch bei einer Erzeugergemeinschaft, die ihre Waren nur an Fleischerfachgeschäfte abgibt, ein. Als er erfährt, dass diese Gemeinschaft ihr Fleisch plötzlich auch an Supermärkte verkauft, ist Schluss für Tom Schlotter. Dass die Kunden in einer Supermarkttheke das gleiche Fleisch wie bei ihm kaufen – ausgeschlossen. Und dann regt er sich richtig auf. Über Verrat. Über Skrupellosigkeit. Über die Ausbeutung der Fleischerfachgeschäfte. Über, über, über… doch dann ist sie da, die rettende Idee, die wie jede Schlotter-Idee dem gleichen Muster folgt: Dann mach ich es halt selbst.

Ulmer Land

Er erfindet sein eigenes Fleisch-Label. Er will Fleisch von glücklichen Tieren. Er will keine Tierquälerei, keine Massentierhaltung, keine Gentechnik. Also sucht er sich Mitstreiter. Eine Handvoll Kollegen, ein paar Bauern, eine Kontrollinstanz. Das Ergebnis heißt “Ulmer Land – Fleisch, heimatnah, fair, artgerecht“. Endlich hat er das Fleisch, das das Markenzeichen “Echt Schlotters” verdient. Warum das Ganze nicht unter dem Dach des Fleischerverbandes, der Innung Ulm-Alb-Donau, in der sich ein Tom Schlotter seit Jahren engagiert, geschieht? Da weiten sich seine Augen, ein leichtes Lachen legt sich über sein Gesicht und er fängt wieder an zu singen: “Weust’ a Herz host wie a Bergwerk…”.

Robin Hood des Fleischerhandwerks

Wo es Konflikte gibt, ist Tom Schlotter nicht weit. Denn er ist es, der gnadenlos offenlegt. Er eckt an, er rüttelt wach, ist der Motor, der alles in Gang bringt. Ungerechtigkeit lässt ihn aktiv werden. Felder, auf denen er nichts bewegen kann, langweilen ihn. Er findet deutliche Worte, nimmt nie ein Blatt vor den Mund. Einen Banker kann er schon mal mit “Du dämlicher Gehaltsempfänger” beschimpfen. Vertreter, die unangemeldet in seinen Laden kommen, schmeißt er wieder raus. Vertreter, die angemeldet kommen, manchmal auch. Er ist der Robin Hood des Fleischerhandwerks. Er reitet voraus, er kämpft. Sich in seinen Laden zurückziehen und warten, dass die Krise im Handwerk auch ihn überrollt – undenkbar. Stattdessen entwickelt er neue Ideen. Und wenn ihm alles zuviel wird, hat er immer noch seine Wellnessmucke pur und ein Herz wie ein Bergwerk sowieso.

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