Lebensmittelwelt

Convenience Food – das Rotlichtmilieu der Köche und Metzger

Die Branche boomt und die Umsätze steigen seit Jahren – fragt man allerdings nach, erntet man nur heftiges Kopfschütteln. Nein, kein Koch, kein Metzger, kein Bäcker setzt Convenience Food ein. Eher würden sie zugeben, sich schon mal im Rotlichtmilieu einer Großstadt vergnügt zu haben, als dass sie den Einsatz von vorgefertigten Produkten in ihren Küchen oder Backstuben offenbaren. Zu schlecht ist das Image dieser halbfertig oder fertig zubereiteten Speisen, und zu wertvoll das Vertrauen, das man verlieren kann, wo doch der Gast denkt, es ist alles hausgemacht.

In einer Welt, in der alles immer schneller gehen muss, ist Convenience Food das Gebot der Stunde. Es geht nicht ohne. Nirgends. Die Bequemlichkeit siegt. Das Leben soll einfacher werden, doch in Wahrheit sind wir auf dem besten Weg, es endlos zu komplizieren. Die Herausforderungen in der Lebensmittelbranche waren nie größer als heute. Denn der Kunde will sein Essen schnell, er will es gesund, er will es ethisch vertretbar, er will es bezahlbar und er will alles zu jeder Zeit.

Wer glaubt schon an Liebe

Dabei könnte es so einfach sein: Der Metzger schlachtet sein Vieh, macht seine Wurst und verkauft sein Fleisch. Der Bäcker nimmt Mehl, Wasser und Hefe und backt sein Brot. Der Koch kauft beim Bäcker und Metzger und Gemüsehändler ein und kocht ein leckeres Essen. Der Kunde und Gast genießt und alle sind glücklich. Kleine Wirtschaftskreisläufe, glückliche Handwerker, überall Liebe und Leidenschaft, heile Welt – eine Utopie vergangener Zeiten. Eigentlich glaubt längst keiner mehr dran. Und dennoch: Das Marketing der Lebensmittelbranche bedient genau diese Utopie. Keiner glaubt dran und es funktioniert doch. An die Liebe im Rotlichtmilieu glaubt ja auch keiner. Und dennoch.

Was der Kunde will

Schaut man auf die Probleme, mit denen die Gastronomie und das Fleischer- und Bäckerhandwerk heute zu kämpfen hat, wird das sich stets schneller drehende Hamsterrad aus Kostendruck, Kundenvertrauen und Qualitätsansprüchen offenbar. Mitarbeiter reden gerne von moderner Sklaverei, Geschäftsinhaber von Vorschriften- und Dokumentationsdschungel, der Nachwuchs bricht die Ausbildung ab und Fachkräfte gibt es schon lange nicht mehr. Der Druck, andere die Arbeit machen zu lassen, wächst stetig. Gejammert wird auf hohem Niveau: Mir fehlt das Personal. Ich kann die Standards nicht halten. Ich kann die Preise nicht halten. Ich muss die Hygienevorschriften einhalten. Ich muss mich an die Kennzeichnungsvorschriften halten. Mein Lager ist zu teuer. Die Energiekosten steigen stetig. Mir fehlt der Nachwuchs. Jetzt muss ich auch noch den Mindestlohn zahlen. Der Kunde stellt nur noch Ansprüche. Ich bin das Opfer einer sich wandelnden Zeit. Ich lasse jetzt andere die Arbeit machen, ich kaufe fertige Produkte zu, ich setze Convenience ein. Der Kunde will es schließlich so.

Raus aus der Opferrolle

So wird der Unternehmer zum Unterlasser. Bequemlichkeit ist hier vorrangig Bequemlichkeit im Denken. Für Branchenkenner Philipp Trentmann ist das größte Problem die „Blockade im Kopf vieler Inhaber“. Damit greift er genau da an, wo es am meisten weh tut. Aber damit gibt er auch jedem Inhaber das Signal, dass er es selbst in der Hand hat, seinen Betrieb fit für die Zukunft zu machen. Raus aus der Opferrolle, her mit den richtigen Konzepten und Ideen, lautet sein Motto.

Ursprünglich sollte dieser Text den Titel „Klartext über Convenience Food“ haben. Also hab ich „Klartext über Convenience Food“ gegoogelt. Die berühmte Findmaschine schickte mich auf das Blog von Hase + Co, dort fand ich ebendiesen Artikel mit der Überschrift „Klartext über Convenience Food“. Und dann lese ich da was von „Convenience selbst herstellen“. Klingt zunächst einmal wie ein Widerspruch in sich. Was denn nun? Entweder Convenience oder selbst herstellen. Um diese scheinbare Tautologie aufzulösen, rief ich bei Hase + Co an. Mein Telefonat mit Geschäftsführer Philipp Trentmann dauerte lange. Es war eine Lehrstunde über die verschiedenen Gar- und Konservierungsmethoden, über Nährwerte und Inhaltsstoffe und das große Plus einer entspannten Arbeitsatmosphäre. Über Kopfblockaden, Jammern und Fachkräfte. Über Plan- und Konzeptlosigkeit. Und dann wurde mein Text ein ganz anderer.

Warum so viele Gastronomen ROT sehen beim Thema Convenience Food ist für Trentmann ein Rätsel. Liegt doch für ihn darin der Schlüssel zu mehr Effizienz, besserer Qualität, geringeren Gesamtkosten, reduziertem Chaos in der Küche und weniger Stress beim Personal. Wer je eine Großküche betreten hat, kennt die brodelnden Töpfe. Egal, wann man eine Großküche betritt, die Töpfe brodeln immer. Der Feind eines jeden Essens: Warmhalten. Der einzige, der hier gewinnt, ist der Energielieferant, der freut sich jedes Mal, wenn in einer Küche alle Geräte gleichzeitig angeschaltet werden und die Stromspitzen in die Höhe schnellen.

Spitzenmäßig ist zu üblichen Essenszeiten auch meistens das Chaos in der Küche. Kein Wunder, dass die Azubis weglaufen, Angestellte gerne krank sind und die Gesichtsfarbe des Koches von der einer Paprika nicht zu unterscheiden ist. Der Zukauf von fertigen Convenience-Produkte erleichtert letztlich die Kalkulation und entspannt das Küchenchaos, aber oft führen diese „bequemen“ Produkte direkt in die Kostenfalle, denn qualitativ hochwertige Convenience ist teuer. Also:

Mach es selbst

Um Convenience selber herzustellen, muss man sich ein wenig bis ziemlich gut mit den unterschiedlichen Garmethoden von Lebensmitteln auskennen. Für die technische Ausstattung reichen laut Trentmann ein Kombidämpfer, der sowieso in jeder Küche steht, und ein Schnellkühler, denn bei allen Methoden für die Convenience-Herstellung ist schnelles Kühlen der Speisen ein Muss. Ziel ist stets, die Qualität der Speisen bestmöglich zu erhalten. Schnellkühlen reduziert die Anzahl von Mikroorganismen und konserviert Farbe, Geschmack und Aromen. Das alles ist also weit entfernt von dem üblichen Vorkochen und Aufwärmen.

Ein weiterer Vorteil bei der Eigenproduktion von Convenience ist die passgenaue Portionierung und Lagerung. Dank der Haltbarkeit der vorproduzierten Produkte kann sehr flexibel auf Schwankungen in der Auslastung reagiert werden. Last but noch least bleibt auch die Kreativität im eigenen Haus. Der Küchenchef kann sich weiterhin kulinarisch austoben, er ist nach wie vor Herr in seiner Küche und nicht der Verfeinerer von Industrie-Convenience.

Und sonntags der Braten

Auch für Metzgereien sieht Trentmann in der Eigenproduktion von Convenience-Produkten großes Potential. Vollkonserven werden in vielen Fachgeschäften schon angeboten und die Nachfrage nach fertigen Produkten steigt stetig. Warum dem anspruchsvollen Kunden nicht ein fertiges Menü oder einzelne Menükomponenten als Convenience anbieten? Die Regale in den Supermärkten sind voll mit Fertigessen oder Tiefkühlware. Das kann der Metzger viel besser. Sousvide zum Beispiel, das Vakuumgaren, ist insbesondere für Fleisch hervorragend geeignet. Der Metzger könnte seinem Kunden den fertigen Sonntagsbraten über die Theke reichen. Und die Kartoffeln und die Sauce küchenfertig gleich dazu. Die Kompetenzen sind in vielen Metzgereien vorhanden. Nicht selten ist der Metzgermeister auch gelernter Koch und hin und hergerissen zwischen Kutter und Herd.

Mit der Herstellung von eigener Convenience ist er zeitlich flexibel und muss zur Mittagszeit nicht in der Küche stehen, wenn seine Kompetenzen andernorts gebraucht werden. Zudem wird er mit einem hausgemachten Convenience-Angebot dem Kundenanspruch nach hoch- und servierfertigen Speisen gerecht. Es geht mehr als gebratenes Kotelett und Frikadelle.

Was bleibt

Convenience Food bleibt das Rotlichtmilieu der Köche und Metzger. Doch Rotsehen angesichts der großen Herausforderungen, die die Branche zu meistern hat, ist keine Lösung. Eine Lösung fängt immer mit einem neuen Gedanken an. Was folgt ist Unternehmertum: Handeln.

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