Fleischerhandwerk

Antwort auf meinen Schlachthaus-Besuch. Ein Akkordschlachter berichtet.

Auf meinen Bericht über die Betriebsbesichtigung bei Tönnies bekam ich eine sehr eindringliche Antwort. Ich danke für die Erlaubnis, sie hier veröffentlichen zu dürfen:

Ein Leserbrief

Hallo Sandra.
Wer das was Sie beschreiben nicht mitmachte, kann Sie nur teilweise verstehen.
Es ist eine andere Welt.

Mein Ziel war es so viel Geld “zusammen zu kleppern” wie irgend möglich.
Dazu war aber notwendig, alles was man geläufig als Gutes im Menschen beschreibt abzubauen, denn sonst wurde man in den Kolonnen schnell “aufgefressen”.
“Halts Maul und schaff”, “Kopf runter”, “Abzug” etc. waren neben körperlicher Gewalt alltäglich. Zentimeterdicker Horn zwischen Daumen und Zeigefinger an der messerführenden Hand waren Ruhmeszeichen. Nur wenn
er aufplatze wurden die Schmerzen manchmal unerträglich.

Hieb-und Stichverletzungen waren ebenso alltäglich wie das Nichtversichertsein. Gefühle gab es nicht. Weder für Mensch noch für Tier und so wurde man zu einem Instrument, dem Sie in die Augen sahen und ein Kapitel lesen konnten.
Man sieht kein Blut mehr, hörte nicht die Kettenbänder, reagierte kaum wenn sich jemand verletzt. Tiere werden zu Freitagsschecks. Mehr nicht.
So wie ein Maurer Stein auf Stein legt, riss ich Knochen für Knochen aus dem Fleisch oder schnitt Kopf für Kopf ab. Stückzahlen mussten her.

Wer nicht mitkam, bekam zuerst die gesammelte Wut der Kolonne zu spüren, wurde an den Schiertisch versetzt und gehörte oft schon im Alter von ca. 28 Jahren zum “Alten Eisen”. Das sprach sich rund in der Schlachter- und Ausbeinerwelt.
Zu dieser Zeit sprachen ausser ein paar Saarfranzosen alle Deutsch, bezahlten das Finanzamt nicht und fuhren mindestens einen BMW 633 CSI, Porsche 911 SC oder Mercedes Benz 250 SL Cabrio. Der Betriebsleiter kam im VW.

Es war die Hoch-Zeit des Subunternehmertums ohne Gewerbeschein.
Mehr und mehr kamen dann sogenannte Vermittler, bei uns Rattenfänger genannt, welche die Verhandlungen gegen 10% oder unkontrollierbaren Abzug vom Kolonnen-Akkordlohn mit den Unternehmern führten und natürlich die Abrechnung machten. Alles was ein Messer nur halbwegs geradehalten konnte war plötzlich in einer neuen Kolonne. Es begann die grosse Wanderschaft.
“Selbständiger Ausbeiner mit eigener Schleifmaschine und Blechspind sucht neuen Wirkungskreis”. Einer der scherzhaft, selbstironischen Sprüche.

Eine Jahresstelle zu bekommen war das grosse Glück. Ich hatte das Glück und konnte meine Wünsche erfüllen. Die feste Stelle rettete auch meine Ehe. Viele andere Ehen zerbrachen. Mann und Vater nie da. Immer auf Achse.
Dann gingen die Grenzen auf und die Kollegen, welche mit einem Drittel unseres Lohnes in ihrer Heimat immernoch Könige waren gesellten sich zu uns an die Bänder.

Geiz ist geil galt plötzlich auch für die Unternehmer, die entdeckten, dass sie einen Deutschen durch drei andere Nationalitäten ersetzen konnten und immernoch mehr Netto in der Kasse hatten. Oder wenigstens das gleiche, weil die Discounter begannen die Preisspirale nach unten anzuwerfen. Immer öfter wurden wir zum Arbeitsbeginn in fremden Sprachen begrüsst. Immer öfter Spielball der Preisspirale.
Die Zeit der Umorientierung begann.

Zurück blieben die Kollegen die im Kreis laufen um zuhause etwas zu erreichen.
In deren Augen Sie schauten und verstanden. Andere verstehen nicht.
Der von den Unternehmern lauthals reklamierte Fachkräftemangel ist nicht vorhanden. Viele Fachleute aus unserer Branche sind arbeitslos. Es geht darum noch mehr, noch billiger zu bekommen.
Auch Menschen, die sich lediglich von Robotern unterscheiden weil sie sich nach der Arbeit duschen.
Fragen Sie einmal Ihren Vater ob das was ich Ihnen schrieb Realität war.
Gruss und schönes Wochenende

Diese Antwort bekam ich auf fleischforum.de, wo ich eingeladen wurde, meinen ursprünglichen Artikel zu posten. Die Diskussion kann hier verfolgt werden: Betriebsbesichtigung bei Tönnies.

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